Offener Brief an Michael Ludwig und Ulli Sima

Offener Brief an Michael Ludwig und Ulli Sima

16.12.2021, 07:00:00 UTC

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
sehr geehrte Frau Stadträtin,

Bei Volt verfolgen wir als unabhängige paneuropäische Partei seit Monaten die Entwicklungen rund um die Baustellenbesetzungen des Projekts “Stadtstraße Aspern” seitens der Umweltaktivist*innen und beteiligen uns aktiv am öffentlichen Diskurs für die Lösung dieses Konfliktes.

Die Reaktionen der Stadtregierung auf die offizielle Absage der Wiener Außenring-Schnellstraße (S1) durch die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie Leonore Gewessler auf Basis der erneuten Projektevaluierung veranlassen uns zu folgender Stellungnahme.

Bei der Fortführung der Pläne zum Bau der Stadtstraße und der S1-Spange sowie Ihrer Aufforderung zur Räumung des Protestcamps fordern wir Sie daher auf, die folgenden Aspekte zu berücksichtigen:

  • Die Umweltaktivist*innen sind vor allem Teil einer internationalen Klimabewegung der jungen Generation und repräsentieren die Interessen der lokalen und globalen Gemeinschaft für eine klimagerechte Zukunft.
  • Als solche sind ihre Forderungen nicht als eine Position politischer Gegner*innen und deren Zuordnung zu anderen politischen Parteien zu verstehen, sondern als Anspruch auf eine lebenswerte Zukunft für die folgenden Generationen.
  • Die Besetzung der Baustellen hat nicht das Ziel, die Entwicklungen im Straßen- und Wohnungsbau zu verhindern, sondern sind vor allem auf ein politisches Umdenken ausgerichtet.
  • Durch die Absage der S1 zur Schließung des Regionenrings um Wien sind die dazugehörigen Projekte in der ursprünglich geplanten Form nicht mehr sinnvoll und daher ebenfalls zu evaluieren.
  • Politik in der Klimakrise erfordert neue mutige Lösungen auf Basis geänderter Prioritäten, wissenschaftlicher Fakten und der Anerkennung der Dringlichkeit der Klimawandelanpassung und des Klimaschutzes.

Die notwendigen Maßnahmen aus unserer Sicht sind daher:

  1. Die angedrohten Klagen müssen sofort zurückgezogen werden.
  2. Ein sofortiger Baustopp der bisher geplanten Baumaßnahmen der Stadtstraße Aspern ist unumgänglich.
  3. Die Entwicklung des Wiener Nord-Ostens sowie die Verbindungen in umliegende niederösterreichische Gemeinden muss mit Fokus auf den Ausbau des öffentlichen Verkehrs sowie der Fuß- und Radinfrastruktur neu geplant werden.
  4. Es ist an der Stadt Wien, alternative Konzepte auszuarbeiten, die mit den lokalen, nationalen und europäischen Naturschutzgesetzen und langfristigen Klimazielen vereinbar sind.
  5. Umwelt- und verkehrswissenschaftliche Informationen müssen Berücksichtigung in diesen Planungen finden und die monetären Interessen von einzelnen Akteur*innen zurückgestellt werden.
  6. Der Begriff “Lebensqualität” muss hinterfragt und mit Hinblick auf die zunehmende Überwärmung der Stadt neu definiert werden. Der Schutz bestehender und der Ausbau neuer grüner Infrastrukturen trägt nachweislich zu einer langfristigen Verbesserung der Lebensqualität bei. Diese am Bau neuer Straßen festzumachen steht nicht im Einklang mit den ambitionierten Klimazielen der Stadt Wien.
  7. Durch die Einsparungen, die sich aus dem Baustopp ergeben, kann der Umweltverbund ausgebaut werden, wodurch die bestehende Straßeninfrastruktur entlastet werden kann.
  8. Bei künftigen Planungen müssen breit angelegte partizipative Entscheidungsprozesse unter der Einbindung von Expert*innen, Wissenschaftler*innen, Vertreter*innen von Umweltorganisationen und der Bevölkerung in den betroffenen Gebieten zum Tragen kommen.
  9. Hierfür braucht es eine transparente öffentliche Kommunikation über die Planungen der Stadt Wien mitsamt ihren Auswirkungen. Die verständliche Vermittlung von Fakten zu Umweltverträglichkeitsprüfungen und strategischen Umweltprüfungen geplanter Bauvorhaben, von Kennzahlen zur Auswirkung dieser auf den Verkehr, die Luft- und Lärmverschmutzung sowie finanzielle Belastungen und vor allem die damit anvisierte Erreichung der Klimaziele muss hierfür seitens der Stadt Wien gegeben sein.

Mit diesem offenen Brief appellieren wir an ihre gesellschaftliche Verantwortung gegenüber der Stadt Wien, ihrer Bevölkerung und allen zukünftigen Generationen. Wir fordern Sie auf, ihre angedrohten Klagen gegen die Aktivist*innen zurückzuziehen und die Grundrechte der Versammlungsfreiheit und der freien Meinungsäußerung zu schützen.

Mit freundlichen Grüßen, im Namen von Volt Europa:

Alexander Harrer
Präsident Volt Österreich

Ina Dimitrieva
Citizen Empowerment Lead

Victoria Bringmann
Präsidentin Volt Österreich

Lucas Amorelli Ribeiro Kornexl
Board Member